Von Murphy zu Eddy - Der erste Habicht eines Harris-Hawkers

 

Als sich vor gut fünfeinhalb Jahren meine berufliche Situation grundlegend zum Positiven entwickelte und ich somit auf lange Zeit Planungssicherheit hatte, nahm ich endlich allen Mut zusammen, mich der Faszination Falknerei nun auch praktisch zu widmen. Ein Entschluss stand nach jahrelangem Durchwälzen der einschlägigen deutsch- und englischsprachigen Fachliteratur und nach Gesprächen mit Falknern in meinem damals noch überschaubarem Jagdbekanntenkreis fest: Da aufgrund der Landschaftsstruktur in meiner Heimat die Falkenartigen nicht in Frage kamen, konnte mein erster Vogel nur ein Harris Hawk sein! Der ideale Vogel für den Anfänger, ein Allrounder für Flug- und Haarwild, sanft im Gemüt, mit Nerven wie Drahtseile, zu schier unglaublichen Manövern im Stande, der Exot, der die komplexe alte Kunst revolutioniert und scheinbar simplifizierte – klang gut und las sich toll... Wegen der Niederwildsituation im nördlichen Rheinland-Pfalz kam zunächst lediglich die Rabenkrähe als Beizwild in Betracht. Ein paar Krähenreviere im Umkreis waren schnell aufgetan und ich stellte mir einen Terzel auf, der in puncto Wendigkeit auf Flugwild dem Weib überlegen sein sollte.

 

Es folgten lehrreiche Jahre, die dem grünschnäbligen Jungfalkner vieles vor Augen führen sollten, vor allem aber, dass die oben genannten „paar Reviere“ für eine zunftgerechte Krähenbeize zu wenig und Krähen als Beizwild in der abwechslungsreichen Landschaftsstruktur des nördlichen Westerwaldes alles andere als trivial zu bejagen sind. Dass die Falknerei niemals ein einfacher Zeitvertreib ist, sollte sich von selbst erklären. Ich widmete mich durch neue Bekannt- und Freundschaften vermehrt der Kaninchenbeize und nahm die Mehrkilometer schnell und gerne in Kauf. Trotz vieler schöner Momente bei den wochenendlichen Gesellschaftsbeizjagden ließ mich die Krähenbeize nie ganz los, neue zusätzliche Reviere wurden über einen langen Zeitraum aufgetan und ich konnte Harris Hawk „Murphy“ stetig mehr an die schwarzen Gesellen bringen. Letztes Jahr betrug seine bunte Strecke 20 Kanin, 12 Krähen und sogar 2 Elstern. Nicht nur, dass in der Endabrechnung mehr Kanin zu Buche standen, die Motivation auf die grauen Flitzer war von Anfang an höher, die Flüge spektakulärer, kaum ein Jagdtag ohne Beute, die Ausbeute effektiver. „Murphy“ ist ein Karnickelvogel!

 

Und genau hier begann das Grübeln. Ich wollte die Krähenjagd auch weiterhin ausbauen und war über so manche vertane Chance des Harris-Terzels schlicht enttäuscht. Immer wieder - vor allem immer öfter - schlichen sich Gedanken wie „warum jagt er die denn nicht?!?“ oder „ein Habicht hätte die aber jetzt gehabt...“ ein. Ein Habicht?!?!? Ich muss gestehen, dass ich lange Zeit zu viel Respekt vor der Anschaffung eines Habichts hatte. Soviel Vorschusslorbeeren ich einst mit dem Harris assoziierte, so viel Bedenken hatte ich beim Habicht: hypernervöses Schreckbündel, ungeeignet für urbane Jagd, hohe Lahngefahr, wenn als Nestling übernommen, Dauereinsatz für die Telemetrieanlage usw., wenn auch immer auf der Pro-Seite diese absolute Kompromisslosigkeit in Sachen Jagdflug stand. Nun, trotz der Vorurteile wuchs aus dem Gedanken ein Wunsch: Ich wollte einen Habicht! Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Also ging's im Mai dieses Jahres ins schöne, aber weit entfernte Colditz, um ein 21 Tage altes kleines weißes Federknäuel zu erstehen. Weit im Voraus wurde ein Schlachtplan geschmiedet, wie ich vorgehen muss, um meinem Ziel näher zu kommen:

 

Einen locken, nicht-lahnenden, ausschließlich auf Flugwild geflogenen, sexuell nicht fehlgeprägten und der zivilisierten Welt gegenüber unempfindlichen Habichtsterzel ohne Falkner-Futter-Assoziation.

 

 

Wieder wurden Bücher und Zeitschriften studiert, vor allem aber Kontakt zu erfahrenen Habichtlern gesucht, bei denen ich allzeit Fragen stellen konnte und Rat bekam, wie vorzugehen sei. Ich entschied mich zu einer Prägung nach dem Muster des sogenannten Social-Imprintings: Von Anfang an verbrachte ich so viel wie möglich mit dem Vogel OHNE Futterassoziation. Ich hielt ihn im Haus, gewöhnte ihn an Mitmenschen, Hund und Zivilisationslärm, hörte mit ihm meine Lieblingsmusik, zeigte ihn meinen Schülern im Unterricht, nahm ihn mit auf Grillfeste in meinem Freundeskreis. Schnell lernte er so, dass beispielsweise von gröhlenden WM-Zuschauern keine Gefahr ausgeht. Futter gab ich ad libitum verdeckt mit Hilfe eine simplen Vorrichtung (Teil einer Plastikplane an einem Seil über zwei Umlenkrollen, später Eimer an Seil), TROTZDEM verknüpfte er irgendwann das Herantreten an Plane oder Eimer mit der späteren Präsentation von Taubenfleisch! Da sage mal einer: „Habichte sind dumm!“ Sowieso fiel mir auf, dass er von Beginn an zu Lautäußerungen beim Atzen neigte, was mich mehr und mehr beunruhigte. Und tatsächlich: Resultat war in der Phase des Trockenwerdens ein tägliches Privatkonzert für die Nachbarschaft beim ersten Erblicken der Familienangehörigen – wenn auch nicht dauerhaft über den Tag. Mit der falknerischen Arbeit wollte ich, wie in der Literatur beschrieben, bis zum Ende der Bettelflugperiode warten – die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch verstummen würde, wollte ich nicht verlieren.

 

 

Was nun folgte, war ein für mich unschönes, weil schmerzhaftes und kräftezehrendes Intermezzo, das sich im Nachhinein betrachtet paradoxerweise als „Glücks“fall erwies. Aufgrund einer schweren Lungenentzündung musste ich Ende Juli für zwei Wochen ins Krankenhaus – just zu dem Zeitpunkt, wo die Arbeit mit meiner männlichen Operndiva beginnen sollte und musste, wollte ich ihn doch bald an Wild bringen! Die Lösung war, dass ein befreundeter Jagdkumpan die ersten Schritte hin zum Beizvogel für mich übernahm und wir abends telefonisch konferierten. Dabei stellte er fest, dass eine Änderung des Standortes des Vogels zu einer deutlichen Reduzierung des Lahnens führte. Als ich soweit genesen war, dass ich den Habicht dankbar wieder übernehmen konnte, flog er bereits aus 8 m auf das Federspiel. Keine Woche später der erste Freiflug, der mit vollem Kropf belohnt wurde, um den Federspielappell nochmals positiv zu verstärken. Das Lahnen beschränkte sich inzwischen wohl durch den erneuten Orts- und vor allem Falknerwechsel auf ein ertragbares Maß in den Morgenstunden.

 

Als das angepeilte Gewicht des ersten Freiflugs (690g) wieder erreicht war, ging's am 9. August das erste Mal in die Reviere. Gleich konnte ich ihm eine Hand voll guter Chancen auf Krähen bieten, doch zeigte er nicht die geringste Regung. Immerhin legte er beim Anblick einer Elster auf dem Heimweg sein Brustgefieder an. Ich beendete das Experiment mit einem Flug auf das Federspiel auf der heimischen Trainingswiese aus dem Autofenster heraus. Tags darauf zeigte er bei 685 g deutlich mehr Aufmerksamkeit, trotzdem dauerte es bis zum 11.08. bis er den ersten Jagdflug seines Lebens absolvierte: Eine Elster saß nur wenige Meter neben einer Landstraße auf einer Wiese, hielt mich sogar aus als das Auto fast neben ihr hielt – ein sichtlich interessierter Terzel verließ in dem Moment als die Elster aufstieg, das Auto und verpasste seine erste Beute nur knapp. Nach gutem Appell aufs Federspiel zeigte er nun nach der Belohnungsgabe gesteigertes Interesse und so kam es eine Stunde später zu einem ersten Jagdflug auf eine Jungkrähe, wobei ich durch einen sanften Wurf nachhelfen musste. Er holte sie bald ein, ließ sie aber kurz vorm Binden ziehen. Ich beschloss, die Motivation auf Krähen zu erhöhen, indem ich am nächsten Tag einen „Jagd“flug simulierte. Ich band eine Taubenbrust auf eine tote Krähe, platzierte sie auf eine Wiese und hauchte ihr mithilfe einer versteckten Hilfsperson und einer dünnen Schnur „Leben“ ein und ließ den Habicht aus dem Autofenster. Dieser startete nach einer gewissen Latenzzeit und band die Vorrichtung nur zaghaft. Die Superverstärkung sollte sich aber auszahlen.

 

Am 15. August wurde ich Zeuge von zwei tollen Flügen auf Elster, die er offenbar immer noch lieber anjagte als ihre schwarzen Vettern, welche jedoch erfolglos blieben. Dennoch verließ er das erste Mal freiwillig den Wagen beim Anblick von Krähen, beim letzten Flug des Tages machte er dann das erste Mal Ernst, manövrierte einen Lufthaken der Krähe mit, setzte nach und verpasste nur knapp. Der anschließende Appellflug aus mind. 150 m bestätigte mein Gefühl, dass wir auf einen guten Weg sind. Und so kam es dann auch nur einen Tag später zum Durchbruch: Nach drei tollen, aber erfolglosen Flügen überraschten wir kurz vor Tagesabschluss eine Krähe direkt neben dem geteerten Feldweg auf einer Kuhweide. Der Habicht verpasste trotz der kurzen Entfernung die Krähe knapp und griff ins Leere. Beim Aufsteigen pflückte er sie dann allerdings regelrecht aus der Luft und erhielt, aufgrund dass er ab diesem Zeitpunkt meinen „Murphy“ als Krähenvogel ablösen würde, den Namen „Eddy“. Die Erfolgsgeschichte fing von da an allerdings erst an. Nur 36 Stunden später rupfte Eddy seine zweite Krähe am Morgen des 18. August, die er in einem schnellen flachen Flug über 15 m überraschte. Am Abend des 19. August erbeutete er seine dritte! Bis zum 28. August fing er meist im 48h-Rhythmus bereits sechs Krähen.

 

 

Als Abschluss möchte ich meine anfänglichen Vorurteile den frischen eigenen Erfahrungen mit meinem ersten Habicht gegenüberstellen. Harris contra Habicht! Kein Thema habe ich in meinem kurzen Falknerleben öfter in den Revieren und an den Falknertischen der Republik gehört. Kontrovers wird diskutiert, welcher der beiden der bessere Beizvogel ist. Da ich tatsächlich schon Flugmanöver meines Harristerzels gesehen habe, die mich und andere Zuschauer nur ins Staunen versetzt haben, höre ich weg, wenn andere Falkner behaupten, der Harris sei langweilig. Andererseits muss ich hier unterstreichen, dass ich der Meinung bin, dass den Harris kunstvoll jagdlich zu fliegen und ihm sein gesamtes Potenzial zu entlocken, eine Komplexität darstellt, die einen Jungfalkner früh an seine Grenzen bringt. Harris ist nicht gleich einfach! Und ebenso hat sich mein Bild vom Habicht grundlegend geändert. Eddy lahnt seit seiner zweiten Beute nicht ernstzunehmend, atzt neben stark befahrenen Straßen und hält Traktorlärm auf der Faust aus. Interessierte Menschen lässt er an sich herantreten und zieht seinen Ständer ein. Auf die Faust springt er bereitwillig ohne JEMALS ein Stück Fleisch als Belohnung bekommen zu haben. Ich war stolz, ihn ein wiederholtes Mal nach einem Jagdflug auf eine Entfernung von fast 200 m auf das Federspiel gerufen zu haben. Sie können sich denken, dass ich den Schritt in Richtung Habicht nicht bereue und mich auf die weitere Saison unsagbar freue – nicht weil der Habicht besser ist als der Harris, sondern anders! Und ich fühle mich privilegiert, von nun ab beide Seiten genießen zu können! Mit Eddy UND Murphy!

 

Ich wünsche allen Falknern einen ähnlich schönen Start in die Saison und wünsche allzeit Falknersheil!

 

 

Thomas Kühn, LV Rheinland-Pfalz/Saarland

 

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